Interview

13.01.2015 Prothesen Carolin Mirow, Dr. Anne Wolowski

Die Bevölkerungsentwicklung zeigt, dass die Menschen im Durchschnitt immer älter werden. Gründe dafür sind die Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen, aber auch die medizinisch gute Versorgung spielt eine entscheidende Rolle. Die vierte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS IV) von 2005 zeigt, dass knapp über 30 Prozent der 65- bis 74-Jährigen eine Vollprothese tragen. PD Dr. med. Anne Wolowski, Oberärztin und Prüferin für Zahnersatzkunde der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik des Universitätsklinikums in Münster, berichtet in einem Interview mit proDente über die zahnmedizinische Versorgung im Alter.

Welche Bedeutung hat die Zahngesundheit für Senioren?

Mund und Zähne sind ein wichtiger Teil des Selbstbildes und haben eine große soziale Signalwirkung. Wichtige Funktionen, wie eine deutliche Aussprache und die Nahrungsaufnahme, hängen wesentlich vom Zustand der Zähne ab. Zwischenmenschliche Kontakte, Lächeln und gemeinsame Mahlzeiten können nur dann genussvoll erlebt werden, wenn sich der ältere Mensch nicht schämen muss, weil der Zustand seiner Zähne desolat ist, und wenn ein „appetitliches Essen“ keine großen Schwierigkeiten bereitet oder er nicht das Gefühl hat, dass er andere durch Mundgeruch belästigt. Abgesehen von dieser psychosozialen Komponente ist eine ausgewogene Ernährung nur möglich, wenn die „Kauwerkzeuge“ funktionieren und belastbar sind.

Welche Kriterien entscheiden darüber, ob sich Patient und Zahnarzt für eine Teil- oder Vollprothese aussprechen?

Sofern noch Zähne vorhanden sind, stellt sich zunächst die Frage, ob diese erhaltungswürdig sind und möglicherweise als prothetische Pfeilerzähne in eine Versorgung einbezogen werden können. Ein Pfeilerzahn sollte parodontal gesund sein, wobei Knochenabbau bis zu einem gewissen Grad keine Kontraindikation darstellt. Die Zähne sollten weiterhin kariesfrei sein. Kariesfrei sind auch solche Zähne, die durch eine Füllungstherapie entsprechend vorbehandelt sind. Wurzelkanalbehandelte Zähne sollten keine Auffälligkeiten im Bereich der Wurzelspitze aufweisen. Im Rahmen der prothetischen Planung geht es dann darum zu entscheiden, welche Art Zahnersatz angemessen ist. Die Stellung der Zähne im Kiefer, zukünftige Erweiterungsfähigkeit, Pflegefähigkeit sowie einfache Handhabung sind ebenso Kriterien wie die allgemeine Konstitution und die finanziellen Möglichkeiten des Patienten.

Besonderheit Zahnlosigkeit

Bei zahnlosen Patienten stellt sich als Behandlungsalternative die Frage, ob eine Implantation sinnvoll ist. Diese stellt insbesondere dann eine Befundverbesserung dar, wenn durch konventionelle Mittel kein befriedigendes Ergebnis zu erzielen ist. Vor der Implantation wird die Knochendicke gemessen. Ist diese in ausreichendem Maße vorhanden, kann nach Abwägung aller gesundheitlichen Risiken und entsprechender präprothetischer Planung die Implantation durchgeführt werden. Sofern das Knochenangebot nicht mehr ausreichend ist, ist eine weitere Operation notwendig. Da dieses mit hohem Aufwand und längeren Einheilzeiten verbunden ist, sollte bei Schwierigkeiten mit Totalprothesen und nach Ausschöpfung konventioneller Möglichkeiten frühzeitig eine entsprechende Beratung eingefordert werden. Selbstverständlich sind auch hier allgemeingesundheitliche Risiken abzuwägen.

Welche Probleme können durch Prothesen auftreten?

Man sollte in diesem Zusammenhang nicht über Prothesen allgemein sprechen, sondern zwischen totalen Prothesen für zahnlose Patienten und Teilprothesen für Patienten mit reduzierter natürlicher Bezahnung unterscheiden. Die Merkmale der Teilprothesen sind, dass deren Sättel zum Ersatz der fehlenden Zähne auf der Schleimhaut gelagert sind und sie über Halteelemente, wie zum Beispiel Klammern, Geschiebe oder Teleskopkronen mit den natürlichen Zähnen verbunden sind. Ein Nachlassen der Passgenauigkeit der Sättel führt zu einer Fehlbelastung der Zähne, die darauf mit Lockerung reagieren. Auch ist die Pflege einzeln stehender Pfeilerzähne wider Erwarten schwieriger. Hier muss besonders darauf geachtet werden, dass sämtlicheZahnflächen und die Kronenrandbereiche gereinigt werden.

Bei Totalprothesenträgern führt vor allem der natürliche Schwund des Kieferknochens, also des Prothesenlagers, zu Schwierigkeiten: Die „Prothesenhaftung“, insbesondere bei unteren Prothesen lässt nach. Eine Lagestabilisierung kann durch Implantate erreicht werden. Dies ist im Unterkiefer deutlich häufiger angezeigt als im Oberkiefer.

Gibt es einen Trend zum implantatgestützten Zahnersatz?

Die Implantation zur Verbesserung des Haltes einer totalprothetischen Versorgung bzw. zur Verbesserung der Pfeilerverteilung unter statistischen Aspekten bei einer Teilprothese gewinnt zunehmend an Bedeutung. Gründe: Beim implantatgestützten Zahnersatz wirkt sich der natürliche Knochenschwund nicht ungünstig auf den Zahnersatz aus. Außerdem werden die Patienten immer älter.

Welche Pflege benötigen Prothesen?

Prothesen müssen ebenso wie natürliche Zähne täglich manuell gereinigt werden. Hierzu kommen spezielle Prothesenbürsten oder gerade für Patienten mit Behinderungen robuste Handbürsten, kombiniert mit Zahnpasta, zum Einsatz. Schafft der ältere Mensch das nicht mehr alleine, muss er dabei unterstützt werden. Im Rahmen von etwa halbjährlichen Kontrollterminen sollte bei Bedarf diese Reinigung professionell unterstützt werden.

Wie schätzen Sie die künftige Entwicklung ein? Werden die Menschen durch die verbesserte Pflegesituation ihre Zähne länger behalten oder werden immer mehr Menschen durch die verlängerte Lebensdauer auf prothetische Versorgung angewiesen sein?

Die hervorragenden Präventionserfolge, vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, und die Erfolge und Möglichkeiten zahnerhaltender Maßnahmen in jedem Lebensalter werden dazu führen, dass Zähne länger erhalten bleiben. Eine Vorausberechnung des „Prothetikbedarfs“ bis zum Jahr 2020 (bereits zitierte Studie der Deutschen Gesellschaft für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde) hat jedoch gezeigt, dass dieser nicht rückläufig ist. Als prothetische Trends werden darin „mehr fester Ersatz“ und „mehr Implantologie bei älteren Patienten“ genannt.